Dienstag, 2. Oktober 2007

Guy Bärtschi: Die Veteranen leben - und spielen Geld ein

Totgesagte kehren auf den Markt zurück. Die klassische Netzkunst, Mitte bis Ende der neunziger Jahre unter dem kryptischen Kosenamen Net.art als Heilbringerin der Medienkunst besungen, ist in Ausstellungen kaum noch präsent. Vorbei die Zeit, in der Netzkünstler im Kunstbetrieb Furore machten, indem sie erklärten, keine Künstler zu sein - und New Yorker Großmuseen 3,5"-Disketten sammelten, um ihr Stückchen Media Hype in die Videoabteilung integrieren zu können.
Heute bedarf es schon wieder besonderen Mutes, mit einem in der Wolle gefärbten Netzveteranen wie Cory Arcangel auf einer Messe anzurücken. Die Genfer Galerie Guy Bärtschi beweist in Berlin nicht nur diesen Mut, sondern vertritt Arcangels medialen Konzeptualismus auch mit Begeisterung und kaufmännischem Erfolg gegenüber neugierigen Besuchern.
Arcangels Sweet 16, die Verwandlung eines Guns N' Roses-Videos in eine Minimal Music-Schleife von der Klangfarbe einer Steve Reich-Komposition, ist keine der Webvideo-Arbeiten aus der Pionierzeit des Künstlers, sondern zielt auf die große installative Präsentation. In dem Stück werden zwei verschiedene Bearbeitungen der Intro des ursprünglichen Guns N' Roses-Musikvideos parallel projiziert. Während das eine Videobild kontinuierlich der Vorlage folgt, ist die andere Schleife schnittechnisch auf wenige Bilder reduziert und dünnt das Stück wie im Zeitraffer aus. Akustisch ensteht aus dieser mechanischen Asynchronizität der zwei Schleifen dennoch ein einheitliches Klangbild, das an die erhabene Ästhetik des musikalischen Minimalismus erinnert. Dem Käufer war diese 2006 entstandene Übersetzung archaischer Webästhetik in eine theatrealische Geste 22.000 Euro wert. Auch Hervé Graumann, ein Künstler ähnlicher Provenienz fand in der alten Netzkunsthauptstadt Berlin einen Liebhaber, dem ein technoides Objekt namens Loading-Gray #1 (2007) 4.500 Euro wert war.
Insgesamt wurde die Galerie bei ihrem ersten Berliner Auftritt für eine geschickte Mischpräsentation belohnt. Wim Delvoyes sattsam pressenotorische tätowierte Schweinehaut Benjamin von 2002 ging für 85.000 Euro über den Tresen. Marina Abramovics Entering the Other Side, ein Monumental-Cibachrome von 2006, lies sich für 75.000 Euro absetzen. GG

Bild - Cory Arcangel, "Sweet 16", 2006, Courtesy of Team Gallery, New York

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